Der fürchterliche Schrecken der Drud

Viele unterschiedliche Erzählungen und Schreibweisen gibt es über die Drud. Dieses Wesen ist so mysteriös wie die Aufzeichnungen darüber. Gemein haben die Sagen alle, dass die Drud ihre Opfer im Schlaf heimsucht, und ihnen danach die Luft aus dem Körper presst.

Die erlöste Trud

Mit unbändiger Kraft warf sich der heulende Wind gegen das alte Haus am Rande des Marktes Weidenberg. Jedes Mal, wenn die Stärke der Naturgewalt für einen kurzen Moment nachließ, um wenige Augenblicke später erneut mit Wucht gegen die bröckligen Mauern zu fahren, hörte man es im altersschwachen Gebälk leise knarzen; ganz so, als wappne sich das gebrechliche Gemäuer gegen den neuerlichen Angriff des brausenden Sturmes. In der oberen Stube lag der Bauer, wie in den Nächten zuvor, wach in seinem schmalen Bett und stierte mit den klaren blauen Augen, um die ihn während seiner Jugend das halbe Dorf beneidet hatte, in Richtung der durchhängenden Decke. Wie auch seine Behausung, so hatte die Zeit ihm den einstmals vollen Bart und das lange Haar gebleicht, hatte sein Leben tiefe Kerben im stolzen Gesicht hinterlassen, hatte die Sorge um die Gesundheit seiner Liebsten ihm die Stirn faltig werden lassen. Vor gut einer Woche hatte seine Hilde ihren letzten Schnaufer getan, nachdem ein arbeitsames und von immer wiederkehrenden Krankheiten verschiedenster Art gezeichnetes Leben hinter ihr gelegen hatte. Gemeinsam hatten die beiden bereits kurz nach ihrer Hochzeit das stattliche Anwesen von einem guten Freund der Familie gekauft und über Jahre hinweg wiederhergerichtet. Im Alter jedoch waren sie immer seltener zu jenen glücklichen Momenten gekommen, die beiden aufzeigten, dass sie füreinander geschaffen waren, da die Kränkeleien Hildes sie allzu oft ans Bett fesselten. „Es ist eine Erlösung für ihre arme Seele“ hatte der Pfarrer die Nachricht von ihrem Tod beantwortet und damit allen in der Gemeinde aus dem tiefsten Herzen gesprochen.

 
 

Nur einer, der Bauer, konnte und wollte diese Sichtweise nicht teilen, da er das Gefühl hegte, dass seine Hilde keineswegs in Frieden entschlafen war, sondern ihm ganz im Gegenteil noch etwas Wichtiges mitteilen wollte, wozu ihr jedoch im letzten Augenblick der Atem fehlte. Seit ihrem Tod lag der Bauer Nacht für Nacht in seinem kargen Schlafzimmer und sinnierte über den womöglich letzten Wunsch seiner Frau, bis ihn schließlich dennoch der Schlaf übermannte. Allein auch im Traum fand er keine rechte Ruhe, wälzte sich aufgeregt hin und her und wachte schließlich gierig nach Luft schnappend und in seinem eigenen Schweiß gebadet auf. Auch in dieser Nacht, der des wütenden Sturmes, hatte die Müdigkeit ihn schließlich übermannt und entführt in das Land der Träume. Wie jedes Mal zuvor sah er vor sich, gehüllt in reinstes Leinen, seine Frau stehen, die ihn zu sich winkte und dabei mit dem lieblichen Mund bedächtige Worte formte. Je näher er ihr kam, desto drängender wurde das Rufen der Erscheinung, dessen Bedeutung er jedoch nie verstand. Gerade wollte er seine zitternde Hand nach der liebgewonnenen Frau ausstrecken, da legte sich mit einem Mal ein unheimlicher Druck auf seine altersschwache Brust und den ganzen Körper durchzuckte ein Schmerz, den zu beschreiben schlicht die Worte fehlten. Erschrocken schlug der Bauer die Augen auf, fasste sich ans Herz und spürte, wie sich die Nägel in die faltige Haut gruben, nur um festzustellen, dass es, wenngleich sehr viel schneller als üblich, so doch regelmäßig schlug.

 

Mit fiebrigem Blick schaute er um sich und traute seinen Sinnen kaum, als er, über seinen Körper gebeugt, eine Gestalt erblickte, die ihn aus allzu vertrauten Augen ansah. Während jedoch im Gesicht seiner Frau jene Liebe glomm, die er so lange Jahre genießen durfte, presste sich ihr ganzer Körper mit voller Kraft auf seine Brust, bis ihn von neuem jener jähe Schmerz durchströmte. „Du, du bist eine Trude?!“ brachte er mit Müh und Not heraus, ehe ihm gänzlich die Luft wegzubleiben drohte. Mit einem letzten verzweifelten Atemzug murmelte er, wissend, welch schreckliches Geheimnis seine Frau mit ins Grab genommen hatte, ein einziges Wort, das sich schnell zwischen den müde knarzenden Balken des alten Hauses verlor: „Hilde“. Wenige Augenblicke später dröhnte ein tiefes Grollen durch die Mauern des Anwesens, während ein greller Blitz vom Himmel zuckte – in der nächtlichen Szenerie erkannte ein junger Mann, der soeben die Läden seiner Fenster schließen wollte, zwei weißlich schimmernde Gestalten, die Hand in Hand in der zurückkehrenden Dunkelheit verschwanden. Ungläubig rieb er sich die Augen und wandte sich kopfschüttelnd seinem Bett zu. Die Geschehnisse in jener letzten Nacht, die der Bauer auf Erden erlebte, erzählte er erst weiter, als der Tod auch nach ihm die langen Finger ausstreckte.

(Adrian Roßner, Sagen und Geschichten aus Weidenberg und Umgebung, Zell i.F., 2015)